Ein Abenteuer ohne PS

26.07.2016
Sächsische Zeitung

Ein Abenteuer ohne PS
Motorrad-Pilot Steve Mizera erfüllt sich am Timmelsjoch einen Kindheitstraum - mit purer Muskelkraft.

Von Alexander Hiller

Der Mann weiß mit Zweirädem umzugehen. Allerdings hat Steve Mizera dabei in den meisten Fällen ein PS-Monstrum unter dem Hinterteil. Im Juli setzte der 40-jährige Dresdner, zuletzt bei Langstreckcn-Weltmeisterschaften auf dem Podest, aber ganz auf seine Muskelkraft. Um sich einen Kindheitstraum zu erfüllen.

Direkt nach der Wende bin ich mit meinen Eltern zum Gardasee gefahren - über das Timmelsjoch - mit unserem ersten Westauto, einem Mitsubishi Colt. Ich war begeistert von den Radrennfahrern, die da hochgekraxelt sind. Seither wollte ich das auch immer mal mit dem Rad schaffen, erklärt er. Timmelsjoch (itaL Passo del Rombo) wird der Grenzpass zwischen Tirol und Südtirol genannt. Der Gipfel liegt in 2474 Metern Höhe. Die wollte der Rennfahrer unbedingt knacken. Per Rad.

Anfang Juli hat er sich endlich getraut. Vorher habe ich meine Zeit immer in andere Projekte gesteckt. In diesem Jahr hat alles gepasst, sagt er. Also nahm sich der selbstständige Handelsuntemehmer für Fahrrad- und Motorrad-Schutzausrüstungen eine Woche frei - und konzentrierte sich ganz auf seine Herzensangelegenheit die er seit Anfang des Jahres in groben Zügen plante: das Timmelsjoch.

Und nach zehn Kilometern hätte der Dresdner seine Mission fast abgebrochen. Am ersten Tag hat es in Dresden noch fürchterlich geregnet. Da wäre ich im Nu völlig durch gewesen - und meine Motivation auf dem Nullpunkt. Also kreierte Steve Mizera einen Plan B, fuhr mit dem Zug nach Nürnberg. Dort war das Wetter fantastisch, und so blieb es bis zum Ende der gewagten Reise, die Mizera für sich als seinen ganz persönlichen Jakobsweg beschreibt.

Nur der Hintern schmerzt

Mizera radelte von Nürnberg über München nach Garmisch. Von dort über den Fernpass nach Ötztal-Sölden. Dann kletterte er über das Timmelsjoch, hinab nach Meran, weiter nach Bozen, Trento, Roverato bis zum Gardasee. Alles innerhalb von viereinhalb Tagen. 650 erstaunliche, weitestgehend problemfreie Kilometer.

Nur am Anfang tat mir der Po höllisch weh. aber daran muss man sich gewöhnen, erklärt der Hobby-Pedaleur, der sich auch während seiner Rennsportkarriere auf dem Bike fit hält. Mizera verzichtete auf Begleiter. Ich wollte das komplett alleine durchziehen, nicht dauernd quatschen, das Ding zwischen mir und der Strecke klarmachen. Nur ein paar enge Freunde wussten davon, erklärt der Schwarzschopf.

Steve Mizera steckte sich zwar Etappenziele, die er aber sehr variabel abarbeitete. Ich bin jeden Tag so zwischen 8 und 9 Uhr aufgebrochen und habe zwischen 110 und 180 Kilometer am Tag geschafft. Seine Übernachtungsgelegenheiten wählte sich Mizera jeweils kurz vor Etappenschluss aus - und checkte sich, der neuen Technik sei Dank, schon immer zwei Stunden vor dem Eintreffen ein.

Eine Sache auf seiner Selbstfindungstour hat der Sachse aber unterschätzt. Seinen Rucksack mit den wichtigsten Utensilien. Der wog etwa neun Kilogramm und war ab mittags wie Blei auf meinen Schultern. Mizera hatte darin kleine Dinge für den täglichen Bedarf oder Notfall gespeicher: Ersatzschläuche für die Reifen, CO2Kartuschen, einen Verbandskasten, Badelatschen, ein paar Eneigieriegel und Eergiepulver sowie eine Ersatzhose, T-hirt und eine Regenjacke, zählt Mizera den Inhalt der Rückenlast auf.

Er hat sich auf der Tour neu entdeckt und viele bisher noch unentdeckte Erfahrungen gesammelt. Etwa, dass die Italiener auf dieser Strecke ein sehr ausgeklügeltes Verkehrnetz für Radfahrer hingezaubert haben. Viel besser als bei uns, staunte Mizera. Zwischen Nürnberg und München musste ich mich wirklich extrem vorsehen, so nahe, wie da die Lkws an einem vorbeidonnern. Das fühlte sich für mich viel gefährlicher an als ein Rennen bei der Langstrecken-Weltmeisterachaft.

Mizera hat auch das überstanden und kann sich nun voll neuer Energie um seine beruflichen Verpflichtungen kümmern. In der letzten Woche hatte der Dresdner zum Beispiel einen Auftrag als Testpilot für den Branchenriesen Yamaha auf der berühmten Rennstrecke in Silverstone. Da werden neue Techniken und andere Neuheiten von uns getestet. Wir können und sollen da für die Perfektionierung auch unsere Erfahrungen einbringen, erklärt Mizera.

Experten-Karriere am Mikrofon

Die meisten dieser Jobs zieht Mizera aufgrund seiner guten Vernetzungen in die internationale Motorsportszene an Land. Von der hält sich der 40-jährige in dieser Saison jedoch persönlich fern. Zumindest als Pilot. Ich bin aber für Eurosport für die Langstrecken-Weltmeisterschaft als Co-Kommentator im Einsatz sagt er.

Eine sportliche Rückkehr auf die Rennstrecke schließt Mizera nicht aus. Auch, weil es an Angeboten für diese Saison bislang nicht mangelt. Ich hatte mich für den BMW-Cup angemeldet, musste mich aber aus beruflichen Gründen wieder davon verabschieden, sagt er. Für die aktuelle Langstrecken-Weltmeisterschaft habe auch ein Team angefragt.

Ich würde noch einmal auf die Maschine steigen, wenn sich das zeitlich vereinbaren lässt. Allerdings, erklärt er nüchtern, ist das Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen nicht so richtig in der Waage. Steve Mizera müsste also privates Vermögen investieren. Möglich, dass der Elbestädter mit der frischen Erfahrung vom Tünmelsjoch noch einmal eine neue Herausforderung sucht.